Das Kieslückensystem - Lebensraum im Verborgenen
Dieses komplexe Gefüge aus Hohlräumen zwischen Kieskörnern ist einer der wichtigsten Lebensräume in Bächen und Flüssen – und spielt zugleich eine entscheidende Rolle für die Selbstreinigungskraft der Gewässer.
Bedeutung und Aufbau
Das Kieslückensystem – wissenschaftlich auch hyporheisches Interstitial genannt – beschreibt den Bereich unterhalb der Gewässersohle, in dem Flusswasser und Grundwasser miteinander in Kontakt stehen. In diesen fein durchlüfteten Zwischenräumen leben zahllose Organismen: von winzigen Einzellern und Kleinkrebsen über Würmer bis hin zu den Larven von Stein-, Eintags- und Köcherfliegen.
Diese unscheinbaren Lebewesen erfüllen zentrale ökologische Funktionen. Sie zersetzen organisches Material, belüften den Boden, halten die Porenräume, die winzigen Hohlräume zwischen den Kieskörnern, offen und sorgen dafür, dass Nährstoffe und Sauerstoff tief in den Gewässergrund eindringen können. Auf diese Weise tragen sie wesentlich zur biologischen Selbstreinigung bei – ein Prozess, der das ökologische Gleichgewicht stabil hält.
Lebensraum für Fische
Das Kieslückensystem ist auch für viele Fischarten unverzichtbar. Besonders Salmoniden (Fische aus der Familie der Lachsartigen) wie Bachforelle und Äsche nutzen lockere Kiesbänke als Laichplatz. Sie legen ihre Eier in die Zwischenräume ab, wo sie vor Strömung und Fressfeinden geschützt heranwachsen. Voraussetzung dafür ist ein gut durchströmter, sauerstoffreicher Kiesgrund.
Verstopft das System jedoch mit feinem Sediment – etwa durch Erosion aus der Landwirtschaft oder Einträge aus Siedlungsgebieten – ersticken die Eier. Auch bodenlebende Arten wie die Groppe sind auf offene, strukturreiche Sohlbereiche angewiesen.
Bedrohung durch Kolmation
Ein zentrales Problem vieler Fließgewässer ist die Kolmation – das Zusetzen der Kieszwischenräume durch feine Sedimente, etwa abgeschwemmte Bodenpartikel, Ton oder Pflanzenreste, die sich zwischen den Kieskörnern ablagern. Dadurch wird der Sauerstoffaustausch unterbunden, und die Lebensbedingungen im Untergrund verschlechtern sich drastisch.
Besonders kritisch ist das Fehlen funktionaler Gewässerrandstreifen. Wo Ackerflächen bis an das Ufer reichen und der Boden regelmäßig bearbeitet wird, werden bei Niederschlägen feine Bodenpartikel abgeschwemmt, die in den Bach gelangen und die Kieszwischenräume verschlammen – der zentrale Mechanismus der Kolmation.
Doch auch städtische Einträge – etwa Staub, Straßenabrieb oder unzureichend gefiltertes Regenwasser – tragen zu dieser Entwicklung bei. Zwar existieren technische Lösungen wie Regenrückhalte- und Absetzbecken, sie werden vielerorts bislang aber nur unzureichend oder gar nicht umgesetzt.
Natürliche Dynamik und Wiederherstellung
Ein verschlammtes Kieslückensystem lässt sich vor allem durch natürliche Prozesse regenerieren. Hochwasserereignisse mobilisieren mit erhöhten Fließgeschwindigkeiten abgelagertes Sediment, durchspülen den Untergrund und stellen die Durchlässigkeit wieder her. Auch Totholz im Gewässer spielt eine wichtige Rolle: Es lenkt Strömungen, sorgt für Fließgeschwindigkeitsvariationen, schafft Mikrohabitate und trägt zur Sauerstoffanreicherung bei.
In stark begradigten oder regulierten Gewässerabschnitten geht diese natürliche Dynamik häufig verloren. Daher sind strukturverbessernde Maßnahmen wie das gezielte Einbringen von Kies und Holz, das Anlegen von Kolken sowie das Zulassen von Strömungsvielfalt entscheidend, um die Funktionsfähigkeit des Kieslückensystems langfristig zu erhalten.